Grundsätzliches

Prof. Dr. Dirk Winter, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt, Nürtingen-Geislingen:
Evolutionsbedingt hat sich das Pferd zu einem „Dauerfresser“ entwickelt. In der Natur und unter naturnahen Haltungsbedingungen bewegt es sich 12 bis 16 Stunden am Tag langsam grasend vorwärts und nimmt dabei kleine Mengen rohfaserreicher Nahrung auf. Das spiegelt sich auch in der Anatomie des Verdauungstraktes wider. Vielfach deckt die heute übliche Fütterungspraktik die Anforderungen der Pferde bezüglich Futtersuche und –aufnahme nicht ab. Einerseits ist die Fütterung häufig sehr getreide- beziehungsweise kraftfutterorientiert, andererseits werden relativ große Futtermengen in nur zwei oder drei Mahlzeiten angeboten und dies bei einem sehr begrenzten Angebot an Raufutter. Darüber hinaus ist oft auch die hygienische Qualität der Futtermittel zu bemängeln. Störungen des Verdauungsapparates und Beeinträchtigungen des Atmungstraktes können die Folge sein.
Anforderung an die artgerechte Pferdefütterung:
1. anatomisch ausgerichtet
2. physiologisch sinnvoll
3. ethologisch angebracht
Bei artgerechter Fütterung muss besonders auf die Versorgung mit strukturwirksamem Grobfutter (etwa Heu oder Heulage mit einer Schnittgutlange von mindestens 4 bis 5 cm) geachtet werden. Die positiven Aspekte einer ausreichenden Raufutterversorgung sind die längere Beschäftigung mit der Futteraufnahme, die Befriedigung des Kaubedürfnisses, ein  ausreichender Zahnabrieb, eine bessere Durchfeuchtung der Futterbissen, eine Pufferung der Magenflüssigkeit durch den sezernierten Speichel, die Gewährleistung eines optimalen pH-Wertes für die Wirkung der Verdauungsenzyme und die Stabilisierung der Milieubedingungen im gesamten Verdauungstrakt.
Nährstoff  Raufutter  Verzehrdauer
(40 min/kg
Raufutter)¹  Krippenfutter Verzehrdauer
(10 min/kg
Krippenfutter) Gesamtverzehrdauer
(Zeitbudget
Futteraufnahme/
Tag)
Ration:  6 kg  240 min  3 kg 30 min 270 min
¹ Pferdefutterung, Coenen und Meyer (2002)
Daraus folgt:
• Futteraufnahme nimmt bei praxisüblichen Rationen nur ein geringes tägliches Zeitbudget in Anspruch (etwa 4,5 Std.; unter naturnahen Bedingungen mindestens 12 Std.) und entspricht somit nicht den Ansprüchen der Pferde
• Beschäftigungstrieb für Futtersuche und -aufnahme ist nur teilweise befriedigt ausreichende Kauaktivität ist fraglich
• Verdauungsstörungen und Verhaltensanomalien sind dadurch möglich.
Die freie Heuaufnahme über 12 Stunden am Tag kann aber auch zu Luxuskonsum führen. So ergaben 2011 Untersuchungen von Coenen, Kienzle und Zeyner, dass Shetlandponys ihren Energiebedarf bei freier Raufutteraufnahme zu 280 Prozent abdeckten und auch Warmblutpferde eine Deckung von 199 Prozent erreichten. Eine Verfettung mit den daraus resultierenden gesundheitlichen Problemen kann die Folge sein.
Als Faustformel gilt:
Die untere Grenze der Raufutterversorgung ist 1,5 kg Raufutter pro 100 kg Lebendmasse täglich (das heißt: ein 600 kg schweres Pferd benötigt pro Tag mindestens 9 kg Heu).
Pferde mit nur geringer Arbeitsbelastung beziehungsweise im Erhaltungsstoffwechsel können gut nur mit Raufutter und einem vitaminierten Mineralfutter versorgt werden. Futtersuche und -aufnahme gehören zu den Grundbedürfnissen. Pferden müssen der zeitliche Rahmen und die Möglichkeiten dafür eingeräumt werden. Eine Begrenzung der Futtermenge, besonders bei Robustpferden, kann allerdings notwendig sein, um einer Verfettung vorzubeugen, zum Beispiel durch Beschränkung der Futtermenge (Futterraufen, Heunetze, Futterautomaten), durch Energieverdünnung mittels Beimengung von hygienisch einwandfreiem Futterstroh und durch über den Tag verteilte Raufuttervorlagen